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Papierstruktur

Im Kühlschrank klaffte ein Loch. Die brüchigen Kanten kräuselten sich, der Strahl der Taschenlampe fing ein gezacktes Stück Glas ein, das sich in die Wand gebohrt hatte. Glassplitter knirschten unter den Füßen, Wasser strömte die Wand herab, und statt der Küchenzeile gab es nur ein Chaos aus Armaturteilen und Betonstücken.

  »Anscheinend hab ich kein Dach mehr über dem Kopf. Danke, verdammt nochmal!« 

  Und nichts zu essen, weil unsere strategische Reserve zusammen mit dem Kühlschrank verbrannt war.
  Eigentlich hätte diese Episode der Ausgangspunkt der Geschichte sein können, genauso wie alle anderen Ereignisse, die vorangegangen waren und sich zu einer lückenlosen Kausalkette reihten, in der man kein Glied entfernen oder auslassen konnte. Doch für mich, wie für uns alle, war das Ende wichtiger als der Anfang. Und das Ende bedeutete, dass ich am Leben war.
  Ich wollte es in meinem Inneren begraben – wirklich! Doch da ist der Gedanke, dass irgendwo in Antwerpen (ein wunderbarer Name, ich mag es, wie er
über die Zunge rollt wie ein harter Apfel) oder in Madrid oder, sagen wir, in Kyjiw oder Winnyzja, auch eine dreißigjährige Frau lebt. Und vielleicht hat auch sie weder Familie noch Kinder. Und auch sie bleibt immer bis spät in die Nacht bei der Arbeit hängen, lötet Buntglasfenster, bemalt sie, bäckt Brot oder bespricht Klassenarbeiten mit ihren Schülern. Oder sie macht gar nichts und erhält Tantiemen (welch wunderbares Wort). Vielleicht hat sie heute ein Schokoladenkuchenrezept aus dem Internet heruntergeladen. Und sie steht über dem Schokoguss und rührt den Kakao mit Butter an, ohne zu wissen, dass ihre herkömmliche, gemütliche Welt in Trümmern liegt.

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